Nach Magdeburg-Patzer: Nutzt HSV in Darmstadt die Gunst der Stunde?
Der HSV ist am Sonnabend zu Gast beim SV Darmstadt 98. Finden die Hamburger bei den Hessen nach zuletzt drei schwachen Spielen wieder in die Erfolgsspur? Mit einem Sieg könnte das Team von Coach Merlin Polzin den Vorsprung auf Relegationsplatz drei auf vier Zähler ausbauen, nachdem Verfolger 1. FC Magdeburg am Freitagabend gegen Preußen Münster überraschend verlor.
Gleich mit 0:5 (0:3) musste sich die Mannschaft des früheren HSV-Coaches Christian Titz dem abstiegsgefährdeten Aufsteiger geschlagen geben. Damit büßte der frühere Europapokalsieger den dritten Platz an den SC Paderborn ein. Die Ostwestfalen gewannen beim FC Schalke 04 mit 2:0 (1:0) und verkürzten den Rückstand auf die Hamburger auf einen Zähler. Der Aufstiegskampf bleibt also ein Hitchcock-Thriller, zumal auch Spitzenreiter 1. FC Köln (54 Zähler) noch keineswegs am Ziel seiner Träume ist.
Allerdings könnten die Rheinländer am Samstagabend (20.30 Uhr) mit einem Erfolg gegen den SSV Jahn Regensburg einen Riesenschritt in Richtung Bundesliga machen. Für den HSV gilt es bereits in der Mittagszeit in seiner Partie bei Darmstadt 98 (13 Uhr, im Livecenter bei NDR.de), den berühmt-berüchtigten Bock umzustoßen. Gelingt am Böllenfalltor ein Sieg, könnte das Polzin-Team dann eine Woche später vor heimischer Kulisse gegen den SSV Ulm die Erstliga-Rückkehr mit einem weiteren Erfolg perfekt machen. Die Hoffnungen ruhen dabei insbesondere auf einem Mann: Miro Muheim.
Hoffen auf die "Wade des Volksparks"
Wenn ein wichtiger Spieler in einer entscheidenden Phase der Saison oder eines Turnieres angeschlagen ist und sogar auszufallen droht, ist der Grad der Besorgnis bisweilen sehr hoch. Was soll nur werden? Wer füllt die Lücke? Das war vor dem EM-Finale 1996 so mit Jürgen Klinsmanns Oberschenkel, es war so mit Michael Ballack vor dem Endspiel der Europameisterschaft 2008. Dessen angeschlagene Muskulatur im Unterschenkel wurde vor der Partie gegen Spanien angesichts der großen Not im DFB-Kader gar zur "Wade der Nation" überhöht.
Auch beim HSV zwickt in einer entscheidenden Phase der Zweitliga-Saison die Wade - die von Linksverteidiger Muheim. Es ist vielleicht nicht die "Wade des Volksparks", doch die Bedeutung des Schweizers für das Gesamtkonstrukt der "Rothosen" wurde durch seinen Ausfall in den vergangenen drei Begegnungen überdeutlich. Der 27-Jährige fehlte nicht nur als Flanken- und Vorlagengeber, sondern auch als kongenialer Partner von Flügelflitzer Jean-Luc Dompé, als verkappter Spielmacher - und nicht zuletzt: in seinem dritten Jahr in Hamburg mittlerweile eben auch als Führungsspieler.
Neben Wade hat der HSV vor allem Kopf
Denn neben all den taktischen und spielerischen Elementen, die dem HSV gegen Braunschweig (2:4), auf Schalke (2:2) und Karlsruhe (1:2) auch aufgrund seiner Abwesenheit abgingen, war im Angesicht der möglichen Bundesliga-Rückkehr deutlich zu erkennen: Neben Wade haben die Hamburger Kopf. Den ersehnten Sprung nach oben vor Augen, hapert es an mentaler Stärke und flattern die Nerven.
HSV-Torjäger Robert Glatzel - wie Kapitän Sebastian Schonlau, Jonas Meffert oder Keeper Daniel Heuer Fernandes bei mehreren gescheiterten Aufstiegsversuchen dabei - gab indirekt zu, dass das "Kopfkino" läuft. Und Sportvorstand Stefan Kuntz bemühte sich zu Beginn der Woche zwar darum, dass man diese "so normal wie möglich" angehen wolle.
"Ich bin absolut überzeugt, dass wir gemeinsam diesen Schritt gehen werden, wenn wir zusammenbleiben und bei uns bleiben." HSV-Trainer Merlin Polzin
Zugleich kündigte der 62-Jährige aber auch an, die Spieler dabei unterstützen zu wollen, dass "sie irgendwas Kleines verändern, damit sie der Situation Herr werden". Denn der Kopf sei in dieser Phase der Saison "mehr wert als manches Talent. Je resilienter du bist im Kopf, je mehr du deine Gedanken unter Kontrolle hast, desto besser."
Trainer Merlin Polzin zeigte sich am Donnerstag kämpferisch. Es gebe "drei Optionen: aufgeben, nachgeben oder: alles geben". Er stehe für Letzteres: "Jetzt ist Mai, jetzt ist Abrechnung. Darauf habe ich hingefiebert und wir haben einfach Bock auf die Sachen, die kommen." Und der 34-Jährige ist sicher, "dass wir den Schritt gehen werden, wenn wir zusammenbleiben".
Selke glaubt an Reaktion des Teams
Das sieht auch Davie Selke so, der mit 20 Treffern beste Schütze seines Teams. Für ihn ist trotz der jüngsten Rückschläge klar: Die Mansnchaft habe "schon gezeigt, was wir zu leisten im Stande sind", und nun gehe es darum, "da wieder hinzukommen. Wir sind gefestigt. Deswegen bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass wir eine Reaktion zeigen und es am Ende schaffen werden."
Darmstadt zuletzt sehr heimstark
In Darmstadt wartet allerdings ein schweres Auswärtsspiel auf den HSV. Die Hessen sind seit vier Begegnungen ungeschlagen. Zu Hause am Böllenfalltor haben sie zudem die jüngsten vier Partien gewonnen - und über die Saison hinweg in 15 Heimspielen lediglich 15 Gegentreffer kassiert.
Wie schon in den zurückliegenden Spielen wird es darauf ankommen, die Energie des Gegners zu "matchen" und das eigene Spiel durchzudrücken.
HSV braucht Mischung aus Entschlossenheit und Lockerheit
Dafür wird es auf eine gute Mischung aus Klarheit, Entschlossenheit und Lockerheit ankommen. "Natürlich sind wir unseren Ansprüchen nicht gerecht geworden, aber wir stehen auch nicht ohne Grund da oben." Daher sei es "wichtig, dass wir trotzdem klar bleiben", sagte Selke.
Der 30-Jährige möchte in den verbleibenden drei Runden wieder "diese Überzeugung" zeigen, die dem HSV zuletzt ein gutes Stück abging: "Das gilt es vorzuleben, auch von den Jungs, die ein bisschen mehr Erfahrung haben - da zähle ich mich mit dazu."
Auch Verteidiger Daniel Elfadli - als einer derjenigen, die noch nicht "vorbelastet" sind - berichtete im NDR Sportclub, er wolle versuchen, "Lockerheit für die Jungs reinzubringen" - beispielsweise in Einzelgesprächen in der Kabine.
Nach wie vor gute Ausgangslage
Trotz aller berechtigter Fragen rund um die psychische Stabilität der Hamburger: Die Ausgangslage ist - nicht zuletzt, weil auch alle Verfolger es offenbar mit den Nerven haben - noch immer gut. Für Sportvorstand Kuntz ist klar: "Wir sind diejenigen, die das Heft des Handels in der Hand haben. Der einzige Maßstab ist: Nach dem Spiel muss mein Spiegelbild mir sagen können, dass ich alles gegeben habe und mutig war." Wenn dies bei allen Spielern der Fall sei, "dann ist das top".
Und würde die Chancen deutlich erhöhen, mit einem Sieg ein Signal zu senden. An die Konkurrenz. Und in der aktuellen Phase fast noch wichtiger: an sich selbst. Um zu zeigen, dass man den Bock Bundesliga-Aufstieg im siebten Jahr tatsächlich umstoßen kann.
Mögliche Aufstellungen:
SV Darmstadt 98: Schuhen - Lopez, Riedel, Vukotic, Guille Bueno - A. Müller, Nürnberger - Marseiler, Corredor - Lidberg, Hornby
HSV: Heuer Fernandes - Mikelbrencis, Hadzikadunic, Elfadli, Muheim - Meffert - Königsdörffer, Reis - Sahiti, Selke, Dompé
